Jenny Odell, Polly returns, video, 2017

Cmptr Grrrlz – Suck my code

Wer hat den ersten Algorithmus erfunden? Ada Lovelace. Wer hat den Code der Nazis entschlüsselt? Die Frauen von Blechtley Park. Wer hat die Mondlandung möglich gemacht? Margaret Hamilton. Die ersten Computer waren Frauen, die astronomische Berechnungen durchführten, ballistische Kurven kalkulierten oder als Fräulein vom Amt vernetzten, lange bevor der Computer eine Maschine und Männerdomäne wurde. Und aus diesen berechnenden Frauen eine Randgruppe der Informationstechnologie.

Computer Grrrls

Cmptr Grrrlz, Begleitheft zur Ausstellung im HMKV, Dortmund, 27.10.2018 bis 24.02.2019
Cmptr Grrrlz, Begleitheft zur Ausstellung im HMKV, Dortmund, 27.10.2018 bis 24.02.2019

Die Kuratorinnen Inke Arns (HMKV) und Marie Lechner (La Gaîté Lyrique) haben 23 künstlerische Positionen zum Thema Geschlecht und Technologie zusammengetragen. Die Bandbreite der gezeigten Arbeiten reicht von schlichten Zeichnungen über das Spielen mit Medienformaten wie z.B. TV-Kochshows bis hin zur Visualisierung von Netzwerkkonzepten.

Da wird etwa Polly (Jenny Odell, Polly Returns, Video, 2017) in einer dystopischen Atmosphäre von Listicle-Headlines torpediert, die Vieles ankündigen, ihr Versprechen aber niemals einlösen.

1997 – Nullen und Einsen

Als Computer praktisch echte Maschinen waren, schrieben Frauen die Software, auf der sie liefen. Und als Rechner noch ein Begriff war, der Rechenarbeiter aus Fleisch und Blut bezeichnete, waren die Körper dieser Rechner weiblich. Hardware, Software, Wetware – Frauen sind die Simulatoren, Assembler und Programmierer der digitalen Maschinen gewesen.

Sadie Plant, Nullen und Einsen. Digitale Frauen und die Kultur der neuen Technologien, 1997.

In einem als TV-Kochshow getarnten “Drugstore” (Mary Maggic, Housewives Making Drugs, HD-Video, 2017) werden Marie und Marie zu Biohacker*innen, die mittels eines “Östrofeminisierers” auf einfache Art und Weise das weibliche Hormon Östrogen destillieren. Der Wunsch nach Unabhängigkeit von der Pharma-Industrie und der Erlangung einer radikalen Körper-Autonomie bleibt für Transgender allerdings ein bloßer Wunschtraum. Das Publikum im Video dankt ihnen dennoch mit tosendem Applaus.

Erica Scourti schließlich kommentiert in Body Scan von 2014 die von Suchmaschinen vorgeschlagenen Bilder-Suchergebnisse aus dem Internet. Die Künstlerin hat verschiedene Fotos durch Apps und Suchmaschinen laufen lassen. Kaum überraschend, dass bei Fotos ihrer eigenen Brüste hauptsächlich Vorschläge zu deren Optimierung aufpoppten. Doch Scourti geht es um viel mehr als Cyber-Sexismus. Body Scan macht die in den algorithmischen Prozessen codierten normativen Aspekte sichtbar, nämlich die Objektifizierung und Standardisierung des weiblichen Körpers. Wie selbstverständlich diese Normen unseren Alltag bestimmen, ist dann doch erschreckend.

The Computer Boys take over

Timeline in der Ausstellung "Computer Grrrls", HMKV, 2019
Margeret Hamilton neben einem Auszug der Flugsoftware, Timeline “Computer Grrrls”, HMKV, 2019

Herzstück der inzwischen beendeten Ausstellung war eine kunstvoll gestaltete Wandtapete, die mit über 200 Einträgen die Geschichte der Cmptr Grrrlz dokumentierte. Ada Lovelace, die bereits 1843 den ersten Algorithmus erdacht hat,  ist in dieser Timeline nicht einmal der erste Eintrag. Frauen eroberten um 1850 als “Telegraph Girls” die Kommunikationstechnologie und sie waren die ersten Computer, bevor Tätigkeit und Berufsbezeichnung von Maschinen übernommen wurden. Als Margaret Hamilton, ein Höhepunkt in der Software-Entwicklung und ein optisches Highlight der Timeline, die Flugsoftware für die Apollo-Mission programmierte, begann ein folgenreiches Umdenken in der Informationstechnologie. Die bislang weiblich konnotierte, niedere Programmiertätigkeit wurde zu einer Wissenschaft erklärt, die sowohl intellektuelle als auch außerordentliche kreative Fähigkeiten erforderte. Eingefordert von Unternehmen in speziellen Eignungstests, die letztendlich Frauen aus der Branche verdrängten. Der “Softwareingenieur” betrat die Bühne …

2016 – Das “White Guy Problem” der KI

Kate Crawford, Forscherin bei Microsoft und Mitbegründerin des AI Now Research Institute, schreibt in der New York Times vom 25. Juni eine Kolumne mit dem Titel “Artificial Intelligence’s White Guy Problem”, in der sie darauf hinweist, dass der Mangel an Diversität im Bereich der KI-Entwicklung geschlechsts­spezifische Vorurteile und andere Formen der Diskrimi­nierung weiter verstärken wird.

Obwohl Künstlerinnen, Cyberfeministinnen oder Hackerinnen spätestens seit den 1990er Jahren lustvoll aufbegehrten, hat sich bis heute nicht viel geändert: Im Wintersemester 2016/17 gab es laut Statistischem Bundesamt bundesweit weniger als 20 Prozent Frauen in den IT-Studiengängen. Die Bundesregierung zeigte sich alarmiert. Im Februar 2019 ist das vom BMBF geförderte Forschungsprojekt FRUIT zu Ende gegangen. Ziel war die Erhöhung des Frauenanteils im Studienbereich Informationstechnologie. Auf die Auswertung sind wir nicht sonderlich gespannt.

Algorithm goes diversity?

Die wunderbare Timeline der Ausstellung hat die Geschichte des Computers als Frauengeschichte inszeniert, als feindliche Übernahme durch das männliche Geschlecht  und einer damit einhergehenden Marginalisierung der Frauen. Die Brisanz von Fragen nach genderspezifischen Vorurteilen in den Bereichen Big Data und künstlicher Intelligenz ist auf frappierende Weise offensichtlich geworden. Man möchte die Wallpaper als Handout zum Studium mit nach Hause nehmen und wünscht sich mehr Präsenz des Themas im öffentlichen Diskurs. Mehr IT-Girls sowieso.

Suck my code, Baby … or fuck you!

Cyberfeminismus in den 1990er Jahren, HMKV, Timeline "Cmptr Grrrlz", 2019
Cyberfeminismus in den 1990er Jahren, HMKV, Timeline “Cmptr Grrrlz”, 2019