Fahrradfahren mit Liebe

Shutdown – Quasi-Quarantäne

Was, wenn der Hahn aus der ferneren Nachbarschaft direkt unter meiner Dachloggia krähte? Was, wenn es statt auf den Sommer auf den Herbst zuginge, mit abnehmender Sonne, lausigem Wind und nasskaltem Wetter? Wie hoch wäre wohl dann das Aggressionspotenzial?

Natürlich bin ich froh, dass ich gerade keine existenziellen Sorgen habe, wie so viele andere. Das verschafft mir freie Ressourcen, die ja auch irgendwie gefüllt werden müssen. Und Nachbars Hahn kräht alle 39,37 Sekunden, ich hab’s gestoppt. Im Supermarkt habe ich mich letzte Woche unwissentlich in eine allzu große Lücke der falschen Schlange gestellt und bin dafür von einem wutschnaubenden Mitmenschen regelwidrig nah angegeifert worden. Der Ton wird rauer.

Arbeit und Struktur

Der Panther
Sein Blick ist vom Vorübergehn der Stäbe
so müd geworden, daß er nichts mehr hält.
Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe
und hinter tausend Stäben keine Welt.

Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte,
der sich im allerkleinsten Kreise dreht,
ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte,
in der betäubt ein großer Wille steht.

Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille
sich lautlos auf -. Dann geht ein Bild hinein,
geht durch der Glieder angespannte Stille –
und hört im Herzen auf zu sein.

Rainer Maria Rilke

Die offiziellen Kontaktbeschränkungen werden bis zum 19. April verlängert. Ich überlege ernsthaft, die tägliche Fahrt mit dem Fahrrad zur Arbeit anzutreten und am Zielpunkt einfach wieder umzukehren. So muss ich auf die gewohnte Bewegung nicht verzichten und vergrößere meinen Aktionsradius auf bemerkenswerte zehn Kilometer. Der Schwager hat das mit dem S-Bahn-Feeling in Köln getestet, wobei ich eine überflüssige Inszenierung in der freien Natur einer bloßen Simulation in den eigenen vier Wänden eindeutig vorziehe. Ich lege mich ja nicht jeden Morgen auf den Teppich und pedaliere in die Luft.

In Berlin testen Bundeswehrsoldaten die Funktionsfähigkeit einer neuen Tracing-App, indem sie wie Schachfiguren die auf dem Fußboden aufgeklebten Pfeile schematisch abschreiten. Auch eine Art von Simulacrum.

Eine Pflicht zum Tragen von Atemschutzmasken hingegen soll es nicht geben, schon allein deshalb, weil es gar nicht genügend Masken für alle gibt. Auch bezweifeln Virologen ihre Wirksamkeit. Propaganda? Die rechte Hetze nimmt gerade richtig Fahrt auf und auch die gewaltbereite Szene hat jetzt viel Zeit. Morgen hole ich mir in der Firma zwei Atemschutzmasken für den ersten Nahkampf.

Fortsetzung folgt