fallende-blaetter_lg

Die Schönheit im Möglichkeitsinn

“Fallende Blätter” von Aki Kaurismäki, Finnland 2023.

Schüchterne Außenseiter-Typen, wortkarge Begegnungen und ein minimalistisches Ambiente: “Fallende Blätter”, der aktuelle Film des finnischen Regisseurs, ist ein echter Kaurismäki wie ich ihn mag.

Es ist ein Film über die Schönheit der Existenz und die Würde des Menschen, erzählt am Beispiel einer Liebesgeschichte. Besser: erzählt am Beispiel der zufälligen Begegnung zwischen zwei Menschen (Ansa und Holappa), die beschlossen haben, einander wieder zu begegnen. Was die Welt eine Liebesgeschichte nennt. Was man in diesem Fall auch Zweisamkeit, Miteinander oder Solidarität nennen könnte.

Dass die Protagonisten in prekären Verhältnissen leben, ihre schlecht bezahlten Jobs verlieren und ihr Leben als Single in karg möblierten  Wohnräumen fristen, ertragen sie mit stoischer Gelassenheit. Es gibt keine starken Affekte und keine große Leidenschaft. (Inwieweit hier bewusst Aspekte des Stoizismus ein­ge­flos­sen sind oder das durch und durch finnisch ist, wüsste ich auch gerne.) Man mag das abgestumpft finden, doch Kaurismäki will uns etwas anderes zeigen: Ansa und Holappa sind reduziert auf Typen, deren Existenz dem Wind, dem Schicksal oder dem Zufall – wie immer man das nennen möchte – wie fallende Blätter ausgeliefert sind. Das akzeptieren sie und lassen sich trotzdem nicht verbiegen.

Es sind zeitlose Großstadt-Typen, Außenseiter-Typen, Verlierer-Typen der Gesellschaft, die in den schmalen Koordinaten ihrer Existenz zwischen Bett und schlecht bezahlter Arbeit gezeigt werden. Das Setup stellt Küchenschränke aus den 70/80er Jahren des 20. Jahrhunderts neben Garderoben aus der Kaffeehauszeit um 1900, lässt Radios aus den 1950er Jahren aktuelle Kriegsnachrichten aus der Ukraine verbreiten.

Die Kamera fängt die Armut in bunten Bildern ein, die der vermeintlichen Tristesse scheinbar entgegenstehen. Doch gelingt es Kaurismäki durch Farbe und Licht eine Schönheit der Bilder zu erzeugen, in der die dargestellten Menschen in Würde agieren und die gewissermaßen Trost spendet. Den Trost der Schönheit. Wo August Sander vor fast 100 Jahren Typen portraitiert hat wie den “Jungbauern”, den “Konditor” oder “Typen und Gestalten der Großstadt”, und mehr an einer Klassifizierung und Dokumentation interessiert war, hat Kaurismäki über die Sandersche “Wahrheitstreue” hinaus viel Sympathie für seine Figuren. Und die für Kaurismäki typische Filmästhetik reiht mit großer Ruhe Bild an Bild. Das Ergebnis ist ein bewegtes Gemälde und proletarische Poesie.

Und ja, der Film ist eine Liebesgeschichte zwischen Ansa und Holappa, aber er ist auch eine Liebesgeschichte an die Kunst und an das Kino. Nur eine der zahlreichen cinematografischen Reminiszenzen sei herausgegriffen: Bei ihrem ersten Treffen landen Ansa und Holappa im Kino und schauen sich die Zombie-Parodie “The Dead Don’t Die” von Jim Jarmusch an. Gefragt, ob ihr der Film gefallen habe, antwortet Ansa ohne eine Miene zu verziehen: “Ich habe selten so gelacht.”